Reihe B: Forschungen
Hehl, Ulrich von: Wilhelm Marx 1863–1946. Eine politische Biographie, Mainz 1987
Die Weimarer Republik gilt seit ihrem unrühmlichen Ende als mit dem Etikett der »Glücklosigkeit« und des Scheiterns behaftet. Damit mag zusammenhängen, daß wir bis heute über keinen ihrer Kanzler eine wissenschaftlich-kritischem Anspruch genügende Biographie besitzen. Diese Lücke soll hier für Reichskanzler Wilhelm Marx (1863–1946) geschlossen werden. Der Zentrumspolitiker Marx war Kanzler in den mittleren, den sog. besseren Jahren der Republik; zwischen 1923 und 1928 stand er insgesamt viermal an der Spitze der Reichsregierung. In seiner Amtszeit wurde die allgemeine Staatskrise des Jahres 1923 überwunden, die Währung stabilisiert und die Wiederannäherung an die Siegermächte erreicht. Trotz unbezweifelbarer Erfolge unterlag er jedoch bei der Reichspräsidentenwahl 1925 als Sammelkandidat des republikanisch-demokratischen Lagers dem von den Rechtsparteien nominierten Generalfeldmarschall von Hindenburg, eine Entscheidung, deren nachhaltigste Folgen erst 1933 spürbar wurden. Von 1926 bis 1928 erneut mit der Leitung der Regierungsgeschäfte betraut, bemühte sich Marx vergeblich, die tiefen Gräben zwischen den Parteien zu überwinden und der Republik feste parlamentarische Mehrheiten zu sichern.
Kaum weniger aufschlußreich ist sein Wirken als Vorsitzender (1922–1928) der Deutschen Zentrumspartei, deren politische Verantwortungs und stetige Vermittlungsbereitschaft er wie kein zweiter verkörperte. So wie dem Zentrum als ausgesprochener Partei der Mitte im Reichstag eine Schlüsselfunktion zukam, so war es wesentlich Marx’ persönlichem Einsatz zuzuschreiben, daß die Klippen der ständigen Regierungskrisen immer wieder umschifft werden konnten, bis sich die Parteien 1930 endgültig als kompromißunfähig erwiesen. Diese Entwicklung kündigte sich schon bei Marx’ Rücktritt 1928 an, der unter höchst unerfreulichen Begleitumständen verlief. Marx war aber nicht nur Politiker, sondern einer der maßgeblichen Führer des mitgliederstarken Verbandskatholizismus. Als Gründer der Katholischen Schulorganisation (1911) hat er die Schulpolitik der Zentrumspartei mitgeprägt, als Vorsitzender des Volksvereins für das katholische Deutschland dessen Zerschlagung durch die Nationalsozialisten 1933 miterlitten, wobei er selbst als »Systembonze« angeklagt wurde. Überhaupt spiegelt sein Leben ein Gutteil allgemeiner Erfahrungen der katholischen Bevölkerungsminorität in Kaiserreich, Weimarer Republik und Drittem Reich wider; so ist diese Biographie zugleich ein Zeitbild aus drei Epochen der jüngsten deutschen Geschichte.
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